Verantwortung, Motivation, Führung – Alles nur leere Worte?

 

Ein Wort ist ein Wort…

… meint man!

Was macht Worte so besonders?

Sie vermögen etwas Bestimmtes. Sie wollen nicht nur gehört und verstanden werden, sondern auch begriffen sein.

Tagein, tagaus sammeln wir im Training und Coaching die Erfahrung, dass Führungsverantwortliche (Eltern, Vorstandsvorsitzende, Partner…) auf uns zukommen, aufgebracht sind und etwas sagen wie: Als ich ihm den Auftrag gab, hat sein Kopf eine Bewegung gemacht, die wie ein “Ja” aussah. Als ich mir dann die geleistete Arbeit ansah, stellte ich fest, das war es nicht, was ich wollte. Das war wiedermal ein “Ja”, das vielleicht sein “Ja” war, jedoch nicht meines.

Worin liegt das Dilemma? Lassen Sie uns dies einmal von einer anderen Seite ausgehend betrachten:

Manche Dinge sind einfach, wir brauchen nicht darüber nachzudenken, sie funktionieren wie z.B. das Prinzip der Schwerkraft. Man braucht weder zu wissen, was ein Prinzip ist, noch braucht man die Formel der Schwerkraft (Gravitationsgesetz von Isaac Newton 1686) kennen, wenn man z.B. aufrecht stehen möchte. Es ist gleichgültig, an welchem Punkt der Erde sie aus dem Bett steigen – die Beine werden am Boden landen. Das ist verlässlich, wenn sie auf diesem Planeten sind. Das gleiche gilt für Masse mit einem bestimmten Gewicht – gleichgültig aus welchem zehnten Stock an welchem Punkt der Erde sie diese Masse fallen lassen, die Zeit bis zum Aufprall wird gleich lang sein.

Anders ist es mit Worten, die keine Bilder haben oder ein Konzept in sich bergen: Diese bedürfen über das Erkennen der Symbole (wie diese lauten), das Verstehen (wie diese Laute entschlüsselt sich im Gehirn zu einem Bild wandeln) auch noch das Begreifen (was tut, was kann dieses Wort/Bild).

Das fällt uns bei einem Wort wie Vogel, Fisch oder Pferd nicht schwer. Auch zu Auto, Wald und Sonne haben wir schnell Bilder im Kopf, mir denen wir denken können, und wir haben genügend Erfahrung, was sie vermögen.

Komplizierter wird es, wenn es um Begriffe wie “Sie”, “Euer”, “mir”, “mein”, “auf”, “über” oder “durch” geht. Ja, die meisten meinen, sie hätten dazu ein Bild. Überprüfen Sie das mal bitte für sich. Haben Sie ein Bild für “durch”?

Wie vielen Menschen kommt Ihnen vermutlich jetzt ein Bild wie “ein Zug fährt durch einen Tunnel” in den Sinn. Nun, damit haben Sie zwar ein Beispiel dafür gefunden, wo wir das Wort “durch” einsetzten, allerdings noch nicht das Wort “durch” begriffen (Was kann das Wort?). Das Wort “durch” bedeutet: etwas geht auf der einen Seite von etwas anderem hinein und kommt auf der anderen Seite wieder heraus. Wer Worte auf diese Art und Weise zu begreifen übt, hilft seinem Hirn wirklich verstehen zu können.

In der deutschen Sprache gibt es über 200 Worte, mit denen es schwierig ist zu denken und die kein Bild im Kopf erzeugen. Zum Glück kann man jedes dieser Worte in seiner Begrifflichkeit, was es vermag, sehr genau definieren, so dass ein Bild gleich wie bei “durch”, “Pferd”, “Auto” oder “Sonne” entstehen kann.

Leider benutzen wir allzu oft gebetsmühlenartig Worte und verhalten uns so, als wenn wir sie begriffen hätten. Genauso wenig, wie es nutzt, wenn man den Satz des Pythagoras    (a²+b²=c²) durch Wiederholen auswendig kann, ohne zu wissen, wann und wie ich ihn anwenden kann. Etwas auswendig können oder es verstehen (hören) können, ohne es selbst herleiten und anwenden zu können ist nicht wirkliches Können. So ist es oft mit Worten. Wir benutzen sie, ohne deren vollständige Bedeutung zu begreifen. Leider werden diese Lücken dann im Gehirn mit „Interpretationen“ gefüllt – im ungeschickteren Fall bleibt nur Verwirrung (mit verständnisvollem Gesicht).

Erstaunlich ist, dass man im Ausland durchaus akzeptiert und vielleicht sogar darüber lacht, wenn man das bekommt, was man gesagt hat, und nicht das, was man haben wollte, oder wenn der andere einen einfach nur irritiert anguckt. Z.B. wenn wir sagen: I’d like to have a bowel (Darm) of fruits.”, anstatt wie wir sagen wollten: “I’d like to have a bowl (Schüssel) of fruits.”

Viel schwieriger wird es, wenn wir mit komplexen Begrifflichkeiten wie Verantwortung, Spiritualität, Konsequenz, Zeit, Führung, Motivation u.s.w., hinter denen ein Konzept steht, zu denken und zu sprechen versuchen. Wir reduzieren auf ein Wort, ohne dessen Begrifflichkeit und dessen Vermögen wirklich ergiebig betrachtet zu haben. Das ist der Punkt, an dem Beziehung und ein Miteinander an Grenzen stößt. So ist es für uns in unserer Arbeit wichtig geworden, dass wir die o.g. Worte für jeden begreifbar machen können – egal ob Kind oder Erwachsener.

Im Alltag zwischen Eltern und Kindern, Partnern, Führenden und Geführten schaut man da meist nicht genau hin. Man ärgert sich vielleicht sogar, wenn der andere einen nicht verstehen ‘will’, und unterstellt ihm vielleicht auch, dass er das absichtlich tut und sich gar nicht die Mühe macht, uns verstehen zu wollen.

Es lohnt sich, die Mühe auf sich zu nehmen, sich einmal Gedanken über ein Wort zu machen oder auch einmal über ein Wort nachzusinnen und es sich zu veranschaulichen. Sie werden erstaunt sein, welche Welt des Verstehens sich dadurch für sie eröffnet.

Nehmen wir des Deutschen liebstes Wort: Diskussion. Es kommt vom Lateinischen discutio, -cussi (quatio) und heißt 1. zerschlagen, zertrümmern, 2. abschütteln oder 3. (gerichtlich) prüfen, untersuchen, verhören. Das Wesen der Diskussion ist, dass beide Seiten wissen, dass der andere genauso Recht hat (können es jedoch nicht zugestehen). Man braucht nur lange genug zu diskutieren, dann ist es so klein, dass es keine Kraft, Zuversicht und Mut mehr hat.

Eine Lösung? Ja, Mut zur Debatte, den Disput, und vor allen zum Dialog – gerade in der Führung und Entwicklung von Menschen.

 

Autor: Edmund Mettinger und Alexandra Tebart